San Francisco, 1967. Die Stadt wird zum Epizentrum eines Lebens abseits der gesellschaftlichen Norm, Geburtsort der Flower-Hippies, in der der „Summer of Love“ gefeiert wird und ohne Blumen im Haar gar nichts geht, wie Scott McKenzie in seiner Hymne mitgibt: „If you’re going to San Francisco, be sure to wear some flowers in your hair …“
Ziemlich genau zwanzig Jahre später wird San Francisco erneut Ausgangspunkt für eine Bewegung, welche die Liebe und die „Radikal Self Expression“ zelebriert: Der Künstler und Aktivist Larry Harvey organisiert am Abend der Sommersonnenwende ein Treffen mit zwanzig Teilnehmern am nördlichen Ende des Baker Beach‘. Mit dabei eine Statue deren Bestimmung es ist, verbrannt zu werden – der erste „Burning Man“ geht in die Geschichte ein.
Auslöser der Idee soll übrigens Liebeskummer gewesen sein, an dem Harvey derzeit litt, womit wieder einmal bewiesen wäre, dass aus Krisen oft etwas Großes entsteht, denn im Laufe der Jahre ist aus dem kleinen Treffen eine achttägigen Veranstaltung mit jährlich über 70.000 Teilnehmer entstanden, die in der Black Rock Desert in Nevada stattfindet. Der Ort gleicht in der Woche einer Stadt (gar mit eigenem Krankenhaus) und entsteht aus der Idee heraus, eine andere Gesellschaft zu erleben, eine, in der individuelle Freiheit und radikale Offenheit im Vordergrund stehen, in der es keine Regeln gibt, die den Einzelnen einzwängen und ihn davon abhalten, sich selbst zu entfalten. Und betrachtet man die kreisförmig perfekt inszenierte Anordnung der Autos, Wohnwägen und Zelte mit der sog. Playa in der Mitte gleich einer Agora in der weiten Wüstenlandschaft, so wirkt die Idee von Utopia hier durchaus real. Auch daher bestehen die Teilnehmer, die sog. „Burners“, dass „Burning Man“ kein Festival sei, sondern eine Kultur, zu deren Prinzipien schenken, tauschen und teilen statt kaufen und Beteiligung statt passiven Konsumierens gehören und in der Werbung gänzlich verboten ist. Dass der Eintritt inzwischen auf dem Schwarzmarkt vierstellige Summen erreicht und die Schönen und Reichen in Luxus-Campingwagen logieren, zudem das Treffen kommerziell ausgeschlachtet und allein Wallmart mit speziellen Burner-Bikes für rund 100 Dollar pro Stück Millionen macht – geschenkt!
Doch zurück zu dem, was den „Burning Man“ so magisch macht. Das ist neben der Vision eines anderen Miteinander eine außerordentliche Kreativität. Zum am Ende den Flammen anheimfallenden „Man“ gesellen sich weitere gigantische Kunstwerke, die des nächtens spektakulär beleuchtet werden und tagsüber futuristisch vor der Mars-ähnlichen Kulisse der Wüstenlandschaft aussehen. Kunstvoll ist bisweilen auch die ganz auf der Linie des „Express-yourself“ gewählte Bekleidung der Teilnehmer, die sich mit ebenfalls spektakulär aufgerüsteten Fahrrädern (ob selbst gestaltet oder gekauft bleibt dahingestellt) und Art Cars (die einzig zugelassene Motorisierung) bewegen und endgültig Mad Max-Feeling aufkommen lassen.
Dass Idee und Erfolg des „Burning Man“ Kopien nach sich ziehen würde war klar. So auch in Südafrika, wo seit 2007 alljährlich ebenfalls eine Woche lang in der Tankwa Karoo unweit von Kapstadt der Kult rund um die Selbstdarstellung tobt, die wir uns vor einem Jahr erstmals nicht entgehen lassen wollten (Infos unter https://www.afrikaburn.com).
Tankwa ist wüstenartig, steinig und die letzten rund 110 km, auf der den Nationalpark durchquerenden R355 ohne Tankstelle und Mobilfunknetz, sind eine Herausforderung und ein Erlebnis für sich. Nicht umsonst heißt es: „R355 eats tires for breakfast, lunch and dinner“. Die unzähligen kaputten Reifen am Wegesrand beweisen, dass diese Beschreibung einen hohen Wahrheitsgehalt hat und ermahnen zur vorsichtigen Fahrweise. Zu riskant ist es, dass die scharfkantigen Steine einen Platten verursachen, so wie bei den zahlreichen „Burners“, die wir mit Radkreuz am aufgebockten Wagen alle paar Kilometer hantieren sehen. Die Staubwolken, die uns gänzlich einhüllen, wenn uns ein Fahrzeug entgegenkommt oder wir überholt werden, sind ein weiterer Grund dafür, meist nicht schneller als 50 Stundenkilometer zu fahren. Doch will man das angesichts einer Landschaft, die mit ihrer Rauheit, Weite und einem unendlichen Himmel bereits ein unbedingtes Freiheitsgefühl vermittelt? Rückblickend wissen wir nicht, was beeindruckender war: Die Fahrten durch die Tankwa Karoo oder die Tage auf dem Gelände des Stonehenge Private Reserve.
Immerhin zwei Rastmöglichkeiten gibt es auf der stundenlang dauernden Reise entlang der R355. Beide Orte verdienen eine Erwähnung: Der erste wegen der phantastisch leckeren Burger, den extrem freundlichen Eigentümern und der Auswahl an Dingen, die man selbst als minutiös planender „Burner“ doch vergessen und hier noch schnell kaufen kann. Der andere, weil wir ihn wohl als skurrilsten Rastplatz unseres Lebens erinnern werden. Dabei waren die liebevoll selbstgehäkelten Gardinen auf der Toilette noch eher rührend anzusehen, während im Inneren sich eine Anmutung von „From Dusk till Dawn“ und der Stimmung aus Jim Jarmuschs „Dead Man“ vermischt und die Figuren am Tresen aussehen, als seien sie aus einem Drehbuch von Quentin Tarantino. Ein Gast, aschfahl, wohl seit Jahrzehnten auf demselben Barhocker sitzend, wirkt, als sei er ebenso zur Deko mutiert wie das Geweih über seinem Kopf. Die leichte Anti-Haltung den bisweilen verwirrt erscheinenden Fremden gegenüber, die die wandweiße korpulente Eigentümerin auszusenden scheint, steht der unwirtlichen Plastiktischdecke auf den Plastiktischen in nichts nach. Unweit des Anwesens steht ein vergessener Oldtimer, der mit ein wenig Benzin und Öl ein hervorragendes Mutanten Car hergegeben würde. Aber auch hier lieber noch ein wenig Wasser kaufen, denn Selbstversorgung ist das nächste Stichwort. Da auf dem Gelände nichts verkauft werden darf, muss alles, was man in der Woche benötigt, selbst mitgebracht und von solch einer Beschaffenheit sein, dass es keine Spuren hinterlässt: Tankwa muss nach dem „Burn“ genauso aussehen wie davor. In unserem SUV stapelten sich daher sowieso schon die Wasserflaschen, daneben Wein (ganz wichtig!) und Lebensmittel, Decken für die kalten Nächte, Sonnenbrille gegen die gleißende Sonne am Tag und Tücher gegen den Staub – und: die obligatorische Fake Fur-Jacket.
Afrika Burn: Kunst und Utopia treffen sich in der in der Weite der Tankwa Karoo
Was wir als ach so verschmähte „First Burners“ oder „Virgins“, also Besucher, die dem Event zum ersten Mal beiwohnen, nicht dabei haben sind Leuchtdioden, die sich besonders die Herren der Schöpfung gerne nachts in ihre Feinstrumpfhosen stecken – nur mal so als Idee für all diejenigen, denen wir mit diesem Beitrag Lust auf den Afrika Burn machen. Erstmalig dabei zu sein lässt einen aber insgesamt bei der doch eigentlich auf Umarmung eingestellten Community durchfallen. Da fängt das „weR1“ schnell an, sich ins Gegenteil zu verkehren. So beispielsweise dann, wenn man auf dem durchaus weitläufigen Wüstengelände sein Auto auf den nächsten freien Platz stellt und – kaum ist der Zündschlüssel gezogen – einem eine Horde von rastagelockten und mit einem Tuch den Unterleib notdürftig bedeckenden Anwohner eines Zeltes mitsamt seiner mit Bikini und Boots bekleideten Freundin entgegentritt. Die erste Frage gilt stets dem Status: „First Burner?!“, um dann in einer Mischung aus Mitleid darüber und ambitionierter Oberlehrerhaftigkeit darauf hinzuweisen, dass dieser Parkplatz ihnen „gehöre“. Noch sinnierend über die vorher angelesenen Regeln des „share everything“ doch nicht minder gutgelaunt machen wir uns – wir waren bei traumhaft schönem Sonnenuntergang, der den Himmel und die Erde in ein sattes Orange getaucht und den Karst der Steinwüste in ein lebendiges Leuchten getaucht hatte angekommen – nun auf, um die nächtliche Stimmung unter freiem, Sternen-bedeckten Himmel zu genießen, zu den beleuchteten Kunstgiganten zu laufen, um die herum DJs auflegen und sich unter die oben erwähnten allgegenwärtigen um die Körper gewickelten tanzenden Leuchtdioden zu mischen. Noch einmal kommt die hehre Philosophie ins Wanken, wirkt Ironie-beladen und mit dem Gefühl, dass zwar alle füreinander da sind während sich jeder doch lieber selbst der Nächste ist, als wir uns erlauben, einen neben einer der provisorischen Toiletten bereitgestellten Wasserhahn zum Händewaschen zu benutzen. Der Fluch des sofort herbeistürmenden Genossen „You’re wasting water!“ trifft uns gleich des Zeuses Blitz und auch der im Gegenzug angebotene Schluck aus unserer Weinflasche kann den Erzürnten nicht beruhigen. Froh, dass wir ein durchaus nettes Leben auch außerhalb der Woche hier in der Tankwa führen und es in Sachen Liebe und Freiheit nicht darauf beschränken und ausleben müssen, freuen wir uns auf den nächsten Morgen, der uns allerdings mit einem gewaltigen Sturm bei immerhin strahlenden Sonnenschein begrüßt. Die kilometerweite Runde von Kunstwerk zu Kunstwerk ist im Staub und bei zugekniffenen Augen dennoch mit so vielen „Wow’s“ verbunden wie die Anzahl an Sandkörnern, die wir noch Tage nach unserer Rückkehr nach Kapstadt in jeder Pore unseres Körpers finden.
Shaun, so der Name für unseren geliehenen SUV, hatte auf diesem wohl auch für ihn exotischen Ausflug, den er sichtlich genoss, genauso wie die von uns lautstark mitgesungenen Songs von Lenny Kravitz, David Bowie und – schließlich sind wir in Südafrika – Jeremy Loops, ebenfalls ein kleine, unfreundliche Begegnung in Form einer Schraube, der sich durch seinen Hinterreifen gebohrt hatte. Es war Kenny, stets mit Wikingerhelm und Lendenschurz anzutreffen, weshalb er sich „The Zulu Wiking Worrier“ nennt, der uns beim Wechseln des Reifens half und den wir bis heute dafür dankbar sind. Und es war ausgerechnet die Raststätte in deren Inneren die beinahe mumifizierten Versionen von Iggy Pop und Tom Waits weiterhin rauchend an der Theke saßen und uns wie auf unserer Hinfahrt mit leerem Blick ansahen, die eine Werkstatt hatte, in der wir unseren geschundenen Reifen wieder flicken liessen, bevor wir uns wieder gen Zivilisation nach Kapstadt aufmachten.
Man muss nicht die große Gemeinschaft beschwören oder am Eingang des Geländes mit einem ritualisierten Gongschlag auf Befehl „alles loslassen“ oder herzliche Umarmungen geben und nehmen, wenn man hier ankommt. Aber man darf vorurteilsfrei sein. Das gilt für diejenigen, die sich nach den großen humanistischen Idealen sehnen wie auch diejenigen, die hier sind, um eine gute Zeit zwischen kreativer, atemberaubender und umwerfender, wenn auch am letzten Tag spektakulär verbrannter Kunst genießen wollen, Sinnbild für das alles entscheidende: der Moment zählt.
Und für alle gilt: Afrika Burn ist etwas, was man mindestens einmal in seinem Leben mitgemacht haben sollte.
Text & Photos by Undine Zumpe / Cinnamon Circle
Anmerkung: Unsere Planungen für 2020 hat Corona zunichte gemacht. Der Afrika Burn findet in diesem Jahr nicht statt. Das ist besonders Schade, denn ab 2021 gibt es erstmals eine neue Location: Statt „Stoney“ wird der „Burn“ auf der Quaggafontein Farm stattfinden. Weitere Informationen finden sich hier: https://www.afrikaburn.com/latest-news/tankwa-town-has-found-a-new-home
Des “Burners” zweitliebste Beschäftigung: Reifenwechsel 😉
Afrika Burn: Unvergessliche Fahrt durch die Tankwa Karoo. Aber Vorsicht! “R355 eats tires for breakfast, lunch and dinner …”
Afrika Burn: Tanz der Leuchtdioden
Afrika Burn: not a usual snake in the desert
Afrika Burn: Mutant Cars @night
Hier noch einige Mutanten Cars: Check out @ https://www.afrikaburn.com/gallery/afrikaburn-2019-videos
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