Längst ist auch in China die Liebe zur Natur wiedererwacht. Einer Natur, die das Denken und Handeln aller Dynastien fortwährend beeinflusste, die in unzähligen Gedichten besungen und in Tusche verewigt wurde. Und wenn auch die Berichterstattung über das Reich der Mitte in den letzten Jahrzehnten von steigenden Wachstumsraten, beispiellosem Bauboom und gefährdeter Umwelt dominiert wurde, so lohnt es sich mehr denn je in die Weiten Chinas vorzudringen.
Denn jenseits von Wolkenkratzern, Zweckbauten und Industrieanlagen bietet das Riesenreich unberührte Natur in atemberaubenden Landschaften. Eines der beeindruckendsten Beispiele ist der Nationalpark Shunan Zhuhai, der größte Bambuswald Chinas, weshalb wir uns nach Südwesten aufmachen, um den Shunan Zhuhai Park zu besuchen. Sein Name wird mit »Ein Meer aus Bambus« übersetzt – wenn das nicht vielversprechend klingt!
Erstaunlich zügig verlässt der VW Touareg die Innenstadt, windet sich über schwindelerregende Hochstraßen hinaus ins ländliche Sichuan. Die Autobahnen sind brandneu, die Raststationen modern und praktisch, Verkehrsschilder sind durchweg zweisprachig, Chinesisch und Englisch. Jenseits des modernen Highways geht es auf gut ausgebauten Provinzstraßen durch Reisfelder, vorbei an geschäftigen Dörfern, Wasserbüffel kreuzen hie und da den Weg. Die Straßen werden jetzt schmaler, schließlich werden wir mehr und mehr vom immer dichter werdenden Grün der robusten Bambushalme eingeschlossen und fühlen uns augenblicklich dem traditionellen China besonders nah. Die flexiblen, meterhohen Gräser gelten als besonders beliebtes Motiv der chinesischen Malerei, als Symbol für Kraft, Stärke und Ausdauer sowie Bescheidenheit.
Magisches Rauschen erfüllt die Luft, fast klingt es wie das Flüstern von Elfen. Geschmeidig wiegt sich der gigantische Bambus im Wind.
Der Fahrer stoppt vor einem – bestenfalls pragmatischen Ansprüchen genügend zu nennenden Hotel. Im Restaurant gibt es Bambusgerichte – was sonst! Koch und Kellner scheinen hoch erfreut, die »Langnasen« aus Europa sorgen für Abwechslung und etwas radebrechender Small Talk ist höchst willkommen. Schnell ist der ganze Ehrgeiz der Mannschaft geweckt und sie gibt ihr bestes, die Besucher mit ihrer Kochkunst zu beeindrucken. Die Sichuan Küche gehört zu den meist gepriesenen im Reich der Mitte, sie kann extrem scharf sein aber ihre Vielfalt ist ein Fest für die Sinne. Wir bestehen darauf, dass jedes Gericht etwas mit Bambus zu tun haben soll und der Koch lässt seiner Fantasie freien Lauf, mischt die gelben Sprossen zusammen mit Tofu, Gemüse, Pilzen in dunkle und helle Saucen, garniert sie mit Lilienblüten, Sprossen, schärft sie mit Ingwer, jeder Menge Chili und vor allem dem besonderen Sichuan Pfeffer. Zwar erinnert die Atmosphäre an Kantinen, sind die Nachbartische verwaist, sorgen die kalten Neonlampen an der Decke für ein grelles, wenig heimeliges Licht und auch das Fehlen jeglicher Heizung macht es nicht gemütlicher. Aber am Gaumen entfalten sich unvergessliche exotische Highlights und die Schärfe der Gewürze lässt schnell jegliches Frösteln verschwinden.
Am nächsten Tag geht es pünktlich im ersten Morgengrauen los. Schon nach wenigen Schritten führt der Weg in den 4’500 Hektar großen Shunan Zhuhai Nationalpark. Überwältigt geht der Blick zehn, fünfzehn Meter nach oben wo sich ein Dach aus grünen Blättern vor den fahlen Morgenhimmel schiebt. Magisches Rauschen erfüllt die Luft, fast klingt es wie das Flüstern von Elfen. Geschmeidig wiegt sich der gigantische Bambus im Wind, leises Quietschen dort, wo die Pflanzen aneinander reiben. Insekten summen durch die kühle Luft, die Wege sind menschenleer, man erwartet jeden Moment einem Panda zu begegnen.
Immer wieder erlauben Pagoden und Plattformen, den Blick über den exotischen Wald schweifen zu lassen. Der Long Yin Tempel verspricht die schönste Aussicht, aber das Privileg, diese einzigartige Weite genießen zu können, will hart erarbeitet sein. Angeblich führen 500 steile – sehr steile! – Stufen hinauf. Nach der Hälfte ist man sich sicher, dass die Angaben geschummelt sind: das müssen doch 1’000, ach was, 2’000 Stufen sein. Oben angekommen haben sich die Strapazen gelohnt. Soweit das Auge reicht, nichts als die sich geschmeidig im Wind wiegenden Riesengräser, im wahrsten Sinne der Übersetzung – ein Meer, dessen beständige grüne Wogen den Betrachter vollkommen in den Bann ziehen. Nur das intensive Rot der Dachziegel sorgt für einen weiteren Farbakzent, verstärkt die meditative Stimmung und verleiht dem besonderen Naturerlebnis eine spirituelle Note.
Soweit das Auge reicht, nichts als die sich geschmeidig im Wind wiegenden Riesengräser, im wahrsten Sinne der Übersetzung – ein Meer, dessen beständige grüne Wogen den Betrachter vollkommen in den Bann ziehen.
Jetzt windet sich der Pfad, der an vielen Stellen in den Felsen hineingehauen worden ist, an den Steilhängen entlang, führt bisweilen durch kurvige und dunkle Tunnel. An breiteren Stellen warten kleine Tempel oder Schreine. Hier hat man dem großen Sunzi ein besonderes Denkmal gesetzt. Sorgsam wurden wichtige Szenen seines bis zum heutigen Tag das Denken vieler Top Manager weltweit beeinflussenden Werks »Lehre von der Kunst der Kriegsführung« in die Steilwände geschlagen. Der Militärstratege und Philosoph beschreibt darin die Notwendigkeit des Einsatzes aller zur Verfügung stehenden Mittel und eines Höchstmaßes an Flexibilität zur Erreichung von Zielen. Es gilt bis heute als eines der bedeutendsten Werke zum Thema Strategie. Überlebensgroß findet man in den roten Sandsteinfelsen Reliefs wichtiger Szenen seines Buches, wie die berühmten Maximen »Rufe von Osten, greife an von Westen« oder auch »Wenn Du gerade schwach bist, baue Verteidigungsanlagen, die dich stark erscheinen lassen«.
Sinnierend über die Lehren des großen Meisters geht es weiter hinter Wasserfällen entlang, bergauf und bergab. Geschicklichkeit ist gefragt, um nicht durchtränkt zu werden, Kinder haben einen Riesenspaß, junge Mädchen quieken. Dann übernimmt die Fülle an stämmigen Halmen wieder die weitaus sanfteren Hintergrundlaute, rascheln deren lange dünne Blätter in den meterhohen Wipfeln und oftmals laden die vielen Liebesbekundungen, die in die dicken Halme geritzt sind, zum Lesen und Schmunzeln ein, entzücken penibel um die Halme geknüpfte rote Bänder das Auge. Auf Lichtungen öffnet sich der Blick auf den fantastischen Rainbow Waterfall, die Sonne verleiht dem Bambus eine breite Palette unterschiedlichster Grüntöne von fast golden über Neon bis hin zu dunklem Smaragd, die filigranen Blätter führen auf dem groben Pflaster ein Schattentheater auf…
Betört von diesen Eindrücken machen wir uns kurze Zeit später auf nach Chengdu, wo wir durch die Altstadt schlendern, erstaunlich viel gute Laune im People’s Park entdecken und der Pandabären-Aufzuchtstation einen Besuch abstatten werden.
Darüber berichten wir hier in Kürze! Stay tuned and go with the bamboo flow …
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