Da wir in Zeiten des noch eingeschränkten Reisens vermehrt den Blick ins eigene Land und ins benachbarte Europa richten, verraten wir einen gerade veröffentlichten Insider-Tipp von Berlinern für Berliner und natürlich all diejenigen, die die Hauptstadt demnächst besuchen wollen:
Die Leser des Berliner Checkpoint haben den schönsten Platz ihrer Stadt gewählt. Die Wahl fiel – mit großem Vorsprung – auf den Viktoria-Luise-Platz im Bayerischen Viertel in Schöneberg.
Wir haben uns also auf den Weg gemacht, historisch und ganz real, und mussten feststellen: Die Berliner haben recht! Elegant, hipp & historisch – so gibt sich der von sechs Straßen zusammenlaufende Platz mit beinahe obligatorischem Springbrunnen in seinem Zentrum und umgeben von viel Grün, akkuraten Blumenbeeten, fein zurechtgeschnittenen Buchsbäumen und ebenso exklusiver Architektur, die den Platz, der ziemlich genau vor 120 Jahren, nämlich am 09. Juni 1900 fertiggestellt wurde, durchaus mondän wirken lassen. An besonders sonnigen Tagen setzt man sich am besten in die halbrunde Sitznische zwischen den Lindenbäumen und lässt den Blick auf das rege Treiben, aber auch die einzelnen umliegenden Häuser schweifen, die seinerzeit ganz im Zeitgeist der Gründerzeit und des Jugendstils gebaut wurden, mit ornamentgeschmückten Fassaden, Türmchen, Balkonen und Erkern. Was durch den 2. Weltkrieg zerstört wurde, hat man mit zwar modernen, aber eleganten zur Ästhetik des Platzes passenden Neubauten ersetzt.
Dabei brachte die Namensgeberin von Anfang an den Funken extravaganten Flairs mit, der den Platz bis heute umweht. Viktoria Luise von Preußen (1892 – 1980) war die einzige Tochter von Kaiser Wilhelm II. Sie lebte hier bisweilen mit ihren Zofen.
Georg Haberland, Direktor der Berliner Bodengesellschaft und strategischer Kopf des von ihm um den Platz herum geplanten „Bayerischen Viertels“, konnte seinerzeit seine Idee von einem rein privatwirtschaftlich finanzierten, besonders attraktiven Wohngebiet aufgrund der überdurchschnittlich vielen, in Schöneberg lebenden Beamten und Militärs verwirklichen. Besonders sollte auch die Beleuchtung des Viertels werden. Und während die benachbarten Stadtteile nachts noch schlechte Gasbeleuchtungen hatten, nutzte Haberland bereits eine eigene kleine elektrische Kraftstation für das Quartier. Abends erstrahlte sodann der weithin sichtbare, hell leuchtende Springbrunnen des Platzes – aber nur „bis 12 1⁄2 Uhr! Dann ließ ich das Licht ausschalten, damit die Stimmung nicht allzu vergnügt wurde,“ soll Haberland gesagt haben.
Doch das mit dem Vergnügen ließ sich angesichts der Atmosphäre nicht vermeiden und schon bald wurden Platz und Viertel Treffpunkt für Künstler und Intellektuelle. Dafür sorg(t)en nicht nur die Cafés und Restaurants, die sich ansiedel(te)n und bis heute zum Verweilen einladen. Vielmehr wohnten hier eine ganze Reihe Prominenter. So unter anderem die Chansonière Claire Waldoff, ausgestattet mit bestem Berliner Dialekt und wunderbar rollendem R, vor allem aber Mittelpunkt des lesbischen Nachtlebens im Berlin der 1920er-Jahre, zudem Initiatorin eines kulturell-politischen Salons zum Gedankenaustausch lesbischer Frauen. Sie lebte hier glücklich und vor allem glücklich liiert mit der US-Amerikanerin Olga von Roeder bis zu ihrer Übersiedlung ins Berchtesgadener Land im Jahr 1939. Unter ihre vielen Freunde mischte sich auch Kurt Tucholsky, der ihr einige Liedtexte schrieb.
Zur gleichen Zeit wohnte auch „Manche mögen’s heiß“ Regisseur Billy Wilder in der Hausnummer 11 zur Untermiete, zumindest zwei Jahre lang (1927/28). Hier soll gar seine Filmkarriere begonnen haben. So sagt die Legende, dass der Direktor einer Filmgesellschaft mit Namen Maxim Galitzenstein sich in Unterhosen aus dem Schlafzimmer der Nachbarin in Wilders Zimmer geflüchtet haben soll und bei der Gelegenheit gleichsam gezwungen war, dessen erstes Drehbuch zu kaufen. Die Story mutet nicht weniger amüsant an als die Berlin-Satire „Eins, zwei, drei“, die Wilder 1961 mit Horst Buchholz hier drehte und dabei, ganz nebenbei, vom Bau der Mauer überrascht wurde, so dass die Berlin-Kulissen aufwändig auf dem Bavaria-Film-Gelände in München nachgebaut werden mussten um den Film abzudrehen. Aber um noch einen großen Namen draufzusetzen: 1931 schrieb Wilder zusammen mit Erich Kästner hier das erste Drehbuch für den „Emil“, der dann unter anderem am Nollendorfplatz, der sich am Ende des lebendigen Teils der legendären, den Viktoria-Luise-Platz durchkreuzenden Motzstraße befindet, spielte. Sie bringt das hippe Element in die Gegend, und das nicht nur, wenn dort das jährliche queere Stadtfest der schwulen- und lesbischen Szene stattfindet – die Waldoff gibt parallel dazu im Himmel sicherlich ein Konzert!
Ach ja, auf Platz 2 wählten die Berliner übrigens den Mexikoplatz in Zehlendorf, Bronze ging an den Rüdesheimer Platz. Aber dazu ein anderes Mal …
P.S. Cafés, Bars und Restaurants aller Länderküchen gibt es rund um den Platz zuhauf. Eine kleine Empfehlung ist das knapp 15 Gehminuten entfernte vegetarische, zum Teil auch vegan angelegte „Bonvivant“. Das Konzept stammt vom Ur-Berliner Kristof Mulack, Gewinner der TV-Kochshow “The Taste” und „TISK“-Mitbegründer (das von den Berliner Meisterköchen als „Berliner Szenerestaurant 2018“ ausgezeichnet wurde – https://www.tisk-speisekneipe.de). In der Küche steht Ottmar Pohl-Hoffbauer, Mitglied der Chef Alliance von Slow Food. Der 43-Jährige kennt viele Bauern und Produzenten in Berlin & Brandenburg persönlich und stimmt sein Angebot mit ihren Anbauplänen und Produktionsabläufen ab. Viele Kräuter baut er sogar selbst an, so dass bisweilen ein herrlicher Thymian- oder Basilikumduft durch den Raum wabert.
Das „Bonvivant“ firmiert als „Cocktail-Bistro“ und damit dieses Versprechen auch eingehalten wird, steht die mit dem Prädikat „Weltklasse“ ausgezeichnete Yvonne Rahm (https://www.theworldclassclub.com/people/winners/2018/yvonne-rahm) als Barchefin hinterm Tresen.
Alors: Bon Appétit!
Text: Undine Zumpe / Cinnamon Circle
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