1932 starb Randlord Sir Maximilian Michaelis in Zürich. Er war Gründer einer Diamantenfirma in Südafrika, die später von De Beers übernommen wurde. Vor allem aber wurde er 1920 nobler Stifter des Lehrstuhls und Namensgeber der Fakultät für Bildende Kunst der Universität von Kapstadt, Michaelis School of Fine Arts, heute eine der führenden Einrichtungen Südafrikas auf ihrem Gebiet und Garant für herausragende Absolventen.
Wir sind seit vielen Jahren begeisterte Besucher der jährlichen Graduate Exhibition, auf die wir mit diesem Post nur allzu gerne aufmerksam machen wollen. Sie findet dieses Jahr vom 04. bis 12. Dezember 2019 auf dem Campus der Uni statt und wer sich für Kunst und vor allem für junge und vielversprechende Talente interessiert – und gar (noch günstig) kaufen möchte – dem sei diese Ausstellung von ganzem Herzen und wärmstens empfohlen.
Doch wer hat hier studiert? Die Liste ist lang, aber drei besondere „Wow“s haben wir herausgegriffen:
In die Goodman Gallery in Cape Towns hippen Stadtviertel Woodstock (mit Dependencen in London und Johannesburg) führt es uns oft, auch, um uns mit Sue Williamson zu beschäftigen. Die Familie der gebürtigen Engländerin emigrierte 1948 nach Südafrika; da war sie sieben Jahre alt. Ihren Abschluss an der Michaelis School machte sie 1983, ist heute für ihre Arbeit international bekannt und in vielen öffentlichen Sammlungen vertreten, darunter in der Tate Modern und im Victoria und Albert Museum in London sowie im Museum of Modern Art in New York. Williamson gehört zur Pioniergeneration südafrikanischer Künstler, die in den 1970er Jahren begannen sich mit den sozialen Umständen des Apartheidsystem Südafrikas zu befassen. In den 1980er Jahren wurde ihre Portraits von Frauen, die in den politischen Kampf des Landes verwickelt waren, berühmt. Seit 1994, dem Jahr, in dem die ersten Parlamentswahlen in Südafrika stattfanden, die das Ende der Rassentrennung markierten, konzentriert sich Williamsons Arbeit auf Themen wie die „Truth and Reconciliation Commission“ sowie Einwanderung. Williamson ist zudem Autorin für zeitgenössische Kunst und ihr Blog stets lesenswert.
Sue Williamsons Werk ist äußerst vielfältig. Besonders beeindruckend empfinden wir die Arbeit „Messages from the Atlantic Passage“, die 2017 in Basel ausgestellt wurde. Dort zeigte sie eine großformatige Installation, die auf gesammelten Aufzeichnungen der Geschichte der Sklaverei vom 16. bis zum 19. Jahrhundert basiert. An der Decke spann sie Netze auf, an denen Ketten mit Glasflaschen hingen, die jeweils bis in den Boden gelassene Wasserbassins hineinreichten. Jede der handgravierten Flaschen enthielt Informationen über einen Sklaven: seinen Namen, das Herkunftsland, das Schiff, den Besitzer, die Plantage und den Preis. Laut der Transatlantischen Sklavenhandelsdatenbank wurden zwischen 1525 und 1866 12,5 Millionen Afrikaner in die Neue Welt verschifft. Rund 10,7 Millionen überlebten die gefürchtete Mittelpassage und stiegen in Nordamerika, der Karibik und Südamerika aus. Die Arbeit war eine Erweiterung von Williamsons gefeierten Botschaften aus dem Wassergraben (1997), die auf der 2. Johannesburg Biennale von Okwui Enwezor ausgestellt wurden, in der alle Sklaven aufgelistet wurden, die von der Niederländischen Ostindien-Kompanie von 1658 bis 1762 zum Kap der Guten Hoffnung gebracht wurden.
Gerade war Sue Williamson im MIGROS Museum für Gegenwartskunst in Zürich in einer Gemeinschaftsausstellung zum Thema „DOKUMENTATION: United By AIDS — An Exhibition About Loss, Remembrance, Activism And Art In Response To HIV/AIDS“ mit zu sehen und wird in 2020 auf der Biennale in Casablanca (ab 01/11/20) ausstellen.
Und ja, wir gestehen, wir sind ein sehr großer Fan von Mohau Modisakeng, auch, weil er uns immer wieder in eine der besten Kunstgalerien Kapstadts führt: WhatIfTheWorld. Modisakengs Kunst beschäftigt sich mit Rasse und der tiefen Spaltung von Südafrika nach der Apartheid sowie insgesamt dem schwarzen Körper im postkolonialen Afrika. Seine Arbeit stellt er durch Filme und großformatig Fotoprints dar sowie Installationen und Performances. Körper und Materialien werden dabei gleichstellt, was zu einer ganz besonderen Ästhetik und Phaszination führt und ein Narrativ verleiht.
Geprägt haben ihn die gewalttätigen politischen Unruhen Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre in Soweto, wo er geboren wurde und aufwuchs, und die er als Kind (geboren 1986) hautnah miterlebte.
Für sein erstes selbstmotiviertes Projekt an der Michaelis School of Fine Arts stellte er dann auch nach eigenen Worten seine „eigenen Erfahrungen mit Traumata in den Mittelpunkt“ was die Geschichte seiner Familie – den gewaltsamen Tod des einen und die Poesie des anderen Bruders sowie die Spiritualität der Mutter – inbegriff. Im Zuge der Entstehung des Werks, sagt Modisakeng, wurde ihm klar, dass das Persönliche in seinem Land Südafrika sehr politisch ist.
Modisakeng blickt aber auch über sein eigenes Land Südafrika hinaus und sieht sich als afrikanischen Künstler, der ausdrückt, wie sich der Kolonialismus bis heute als Trauma auf Afrika auswirkt, Wunden, die (seiner Meinung nach) noch lange nicht verheilt sind, da bis heute niemand für die Gewalt, die der Kontinent erfahren hat, zur Rechenschaft gezogen wurde. Mit diesen Gedanken wirkt seine Kunst noch eindrücklicher, das tiefe Schwarz seiner Bilder respektive in seinen Bildern noch poetischer und leiser in ihrer Einsamkeit und Verlorenheit, noch magischer in seiner reinen Zurschaustellung seines bzw. des schwarzen Körpers im weißen Raum.
Mohau Modisakengs Werke werden weltweit ausgestellt, so unter anderem auf der Biennale in Venedig („Passage“ 2017), in Basel (2011), in der Saatchi Gallery in London. Zudem ist er im MOCAA zu sehen. 2019 arbeitete er unter anderem an einem Projekt für die Stadt Amsterdam für ein Nelson-Mandela-Denkmal, das im nach diesem benannten Park 2020 in Bijlmer im Südosten von Amsterdam errichtet wird.
Last but not least: Eine große Beachtung wird regelmäßig auch Sethembile Msezane zuteil, sowohl in ihrem Land als auch weltweit, nicht nur mit ihren spektakulären Performances, sondern auch in zig Auszeichnungen und als ausgezeichnete TED Talkerin (TEDGlobal-Sprecherin 2017).
Als Mädchen hatte Msezane sich oft gefragt, ob sie überhaupt existiere. Eine große Frage für einen kleinen Menschen – aber woher kam die Frage? Warum fühlte sie sich nicht wahrgenommen? Auf ihren Wegen durch Kapstadt fielen ihre Blicke immer wieder auf die öffentlichen Plätze mit ihren Gedenkmonumenten. Diese gaben ihrer unterbewussten (Nicht-)Wahrnehmung eine Antwort: allesamt waren Männer; darüber hinaus größtenteils eine Form des Vermächtnisses der schwarzen Unterwerfung. Was sie nicht sah waren Frauen, schon gar keine schwarzen, an die – in welcher Form auch immer – erinnert wurde. Uns so begann sie, die Plätze zu rekontextualisieren: In Tracht und mit oftmals das Gesicht verdeckenden Zulu-Schmuck exponiert sie sich so auffällig wie wunderschön – ganz im Sinne einer Statue – öffentlich und stundenlang auf Podesten, oft in unmittelbarer Nähe zu den „offiziellen“ Denkmalen.
„Chapungu – the day Rhodes fell“ in 2015 ist dafür ein besonders spektakuläres Beispiel. Nach anhaltenden Protesten von Studenten der Universität Kapstadt beschloss der Universitätsrat die Statue von Cecil John Rhodes, einem Geschäftsmann, der führend an der Ausbeutung der Bodenschätze des südlichen Afrikas beteiligt war und als Mitbegründer des Apartheid-Systems gilt, abzubauen. Mit Federn an den ausgestreckten Armen, die den „Great Spirit Bird,“ den großen spirituellen Adler Simbabwes „Chapungu“ symbolisierten, stellte Msezane sich erhöht auf einem Sockel in die Menge der Studenten als Rhodes mit einem Baukran buchstäblich von seinem Sockel gehoben wurde.
Mit ihren Performances wirft Msezane Fragen zu Rassismus, Kultur, Geschlecht und Geschichte – besonders in Bezug auf schwarze Weiblichkeit – gleichermaßen auf. Die Reaktionen sind entsprechend ihrer ausdrucksstarken Monumentalität als lebende Skulptur: „Very powerful,“ sagt eine sichtlich bewegte junge schwarze Kapstädterin nachdem sie ihren Blick von der ungerührt erhoben dastehenden Msezane endlich abwenden kann. Und ein anderer fügt mit glänzenden Augen an, sie repräsentiere Afrikas Stolz. Beide Reaktionen zeigen die Motivation und den Mut, den Msezane hervorruft sowie die Notwendigkeit, ein selbstkuratiertes Bild von etwas gleich einem Ehrenmal zu schaffen – und zu diktieren.
Sie selbst erhebt durch ihr Werk schwarze Afrikanerinnen in das Blickfeld und das Bewusstsein der Menschen, so dass sich ein junges Mädchen nicht mehr fragen muss: Existiere ich?
Sethembile Msezane stellte seit ihrem Master an der Michaelis School weltweit aus, war auf der documenta 14 zu sehen und hat eine Vielzahl von Preisen und Ehrungen erhalten.
Die Liste der Top-Absolventen lässt sich noch lange fortsetzten und wir sind überzeugt, dass auch dieses Jahr die Michalis School ein enormes Potenzial an jungen Talenten hervorgebracht hat, das in den kommenden Jahren die internationalen Museen und Galerien schmücken und die Besucher begeistern wird. Gehören Sie zu den Ersten und besuchen Sie ab Mittwoch die Michaelis Graduate Exhibition. #LetsMeetThere
Autor: Undine Zumpe / Cinnamon Circle
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