Es gibt jährliche Highlights, die fest im Terminkalender notiert und unumstößlich sind. Das Monte-Carlo Jazz Festival gehört für uns eindeutig dazu! Stets perfekt ist die Mischung aus traditionellen Jazztönen, weltmusikalischen Inspirationen und Klängen von morgen, dargeboten von alten Größen und (noch) versteckten oder neuen Begabungen – und das auch noch eingerahmt in den sich in die schönste Mittelmeerküste einnestelnden Zwergenstaat mit dem hohen Anspruch für das Außergewöhnliche und seinem mondänen Flair.
Das Jazzfestival selbst indes ist mitnichten klein – weder was die Auswahl der Stars des Genres angeht und in seinen vielfältigen Stilrichtungen angeboten wird, noch seine Berühmtheit auf den weltweiten Festivalbühnen.
Und selbstverständlich ist auch 2019 das Angebot wieder so hochkarätig und bunt, dass es schwerfällt, nicht schlicht alle Konzerte zu besuchen, die zwischen dem 16. November und dem 01. Dezember gegeben werden.
Die Webseite der Monte-Carlo Société des Bains de Mer (SBM), ist zwar etwas verwirrend, da sich das Programm von 2018 ohne Absatz oder Hinweis an das von 2019 schiebt, so dass man im ersten Moment den Eindruck erhält, dass all die auf einen Blick gelisteten Bands und Musiker in diesem Jahr aufspielen werden, aber dieser Lapsus verleitet uns zu einem kurzen Review auf 2018:
Wir beginnen zwar „unjazzig“, aber sehr französisch: Benjamin Biolay hat mal wieder geradezu perfekt alles Französische symbolisiert, was wir von diesem Land erwarten und uns erhoffen. Mit seiner gefühlvollen Stimme und seinem jahrelang ununterbrochen Schaffen hat er das Chanson in den letzten Jahrzehnten auf ein neues Niveau gehoben und wie kaum ein anderer die französische Musiklandschaft in dieser Zeit geprägt, was an diesem Abend wieder bestens zu hören war. Mit seinem Erstlingswerk „Rose Kennedy“, auf dem er sich wie eine Mischung aus Gainsbourg und Brel gab, zeigte er bereits, wie sich der „Nouvelle Chanson“ anhören würde und stahl sich augenblicklich in unsere Herzen – wir ließen ihn nie wieder ziehen …
Genossen haben wir zudem die Südkoreanerin Youn Sun Nah mit ihrer klaren, weichen wie kräftigen und verzaubernden Stimme, die 2018 ebenfalls ihre traumhaften Klänge zum besten gab. Stets fügt sie dem Grundton Jazz so viele weitere unterschiedliche Genres hinzu, dass ihre vielfach erhaltenen Auszeichnungen oftmals mit dem Label „Crossover“ versehen werden. Auf der Bühne wird die schüchtern wirkende, zarte Person aber immer wieder experimentell oder minimalistisch, spült ihr Innerstes, das sie jedes Mal offensichtlich selbst neu zu entdecken scheint, nach außen. Keines ihrer Konzerte gleicht dem anderen, was aus ihrem Anspruch rührt, jedes Mal auf eine andere Art zu spielen, nicht wie auf den Aufnahmen zu klingen und die Arrangements und Soli immer wieder zu verändern. Ein weiteres Zeichen ihrer Kreativität, die von ihrer Stimme ständig erneut angespornt zu werden scheint.
Ihr Traum, so die Südkoreanerin, sei es, einmal in Pjöngjang aufzutreten. Das wäre allzu schön, würde solch ein Konzert doch für Öffnung und Freiheit stehen. Uns führte der Wunsch dazu, einen Augenblick innezuhalten und dankbar zu sein, dass wir uns einfach nur eine Karte kaufen mussten, um dieser großen Stimme zuhören zu dürfen.
Bei Selah Sues zerbrechlicher, verletzlich wirkendender, aber dennoch starken Stimme hielten wir wie immer den Atem an und bei Manu Katchés Trommelwirbeln und Gregory Porters „pure Jazz at it’s best“ gingen uns dann leider die Superlative aus.
Und so fällt es uns erneut schwer, für dieses Jahr Empfehlungen zu geben. Dennoch haben wir drei Schmuckstücke herausgepickt, die unseren Ohren und Herzen schon seit vielen Jahren besondere Stunden schenken.
Ibrahim Maalouf wird am 30. November 2019 mit seiner Trompete und 15-köpfigen Band auf der Bühne der Opera Garnier stehen und gewohnt abwechselnd für mitreißende Stimmung und Gänsehaut, vor allem pure Euphorie sorgen (einen kleinen Vorgeschmack gibt es hier: https://www.youtube.com/watch?v=4DkeNh3YCys). Schlicht atemberaubend sind die Arrangements des französisch-libanesischen Talents, der aus einer Familie von Musikern, Schriftstellern und Dichtern stammt, unzählige Auszeichnungen für seine dichten Kompositionen erhielt und dem viel zu oft – wahrscheinlich aus purer Überforderung – das Label „inclassable“ – undefinierbar – zugeschriebe wird. Der Versuch einer detaillierteren Beschreibung lautet dann – nicht abschließend – so: jazz-orientiert, orientalisch geprägt, afro-kubanisch inspiriert, elektronisch unterwandert, mit Rock-Ideen versehen und immer wieder den Funk mit hinzuziehend, in die Improvisation hineinreichend – kurz: Musikalisch ein ganz neuer Kosmos, den Maalouf Zusammenarbeiten mit vielen anderen großen Stars brachte wie der senegalesischen Legende Cheikh Lô, dem immerwährenden Sting, dem unsterblichen Georges Moustaki oder dem französischen Superstar Vanessa Paradies. Ach hätten wir doch hundert Daumen – “thumbs up” – um ihm einigermaßen gerecht zu werden.
Über Genies zu schreiben ist für “Normalsterbliche” immer ein Wagnis. Wir riskieren sämtliche Unzulänglichkeiten, schreiben dafür aber von ganzem Herzen über den am 22. November 2019 in der Opera Garnier auftretenden, inzwischen fast achtzig Jahre alten Herbie Hancock, der die Musikszene der letzten Jahrzehnte prägte wie kaum ein anderer. Startschuss war 1962 sein „Watermelon Man“ (in unserem Link zum Video beschreibt (und spielt) Hancock anschaulich und überaus interessant, wie der Song entstand und sich weiterentwickelte – highly recommended!), 1964 folgte der nächste Hit, der über die letzten 55 Jahre niemals etwas von seiner Berühmtheit und Omnipräsenz eingebüßt hat: Cantaloupe Island. Seinerzeit schrieb ein Musikkritiker: „Vergesst Gilligans oder Crusoes langweiligen Strand, (…) das Nachtleben ist auf ‚Cantaloupe Island‘ besser.“ Wer mag da noch etwas hinzufügen?
Und dann – yeaaaahhhhh! – 1983 Rockit. Mit dem Song landete Hancock nicht nur erneut einen weltweiten Hit, sondern auch den größten Instrumental-Hit der 1980er-Jahre, erhielt einen Grammy (in Gänze sind es 14, 2016 der für sein Lebenswerk) und machte das ‚Scratchen‘ allgemein bekannt.
Zu High School-Zeiten näherte sich der in Chicago geborene und mit elf Jahren bereits mit dem Chicago Symphony Orchestra auftretenden Hancock dem Jazz, indem er stundenlang Aufnahmen von Oscar Perterson oder George Shearing analysierte und nachspielte. Wie erfolgreich dieses Selbststudium sein sollte zeigte die von 1963 und 1968 währende Zusammenarbeit mit dem großen Miles Davis. Sein besonderes Interesse galt aber auch der Elektrowissenschaft, die er zwei Jahre lang studierte bevor er sich gänzlich der Musik zuwandte, deren Technik er aber bis heute ganz praktisch auf sein Schaffen überträgt, die damit über all die Jahre ein wesentlicher Faktor für seinen außergewöhnlichen Innovationsgeist war und in Kombination mit seinem Fable für Funk 1973 unter anderem
zum erfolgreichen wie besonders umstrittenen Jazzalbum Head Hunter führte – das erste aller Zeiten mit Platinstatus und ein weiterer Meilenstein. Diese reihen sich so gehäuft aneinander, dass eine Auflistung unmöglich ist. Daher: Wir sehnen den 22. November herbei und sind in unbändiger Vorfreude, Herbie Hancock live zu erleben.
Der dritte Tipp geht eher dahin, die Breite des Festivals aufzuzeigen und die „Hidden Champions“ zu würdigen. Zum einen die US-Amerikanerin Becca Stevens, die auch etwas gegen Schubladen zu haben scheint, präsentiert sie sich doch zwischen Indie Pop, Soul und Jazz, mit Einflüssen von Folk und Weltmusik – so poetisch wie beseelt und in bester, tiefschürfender Singer-Songwriter Manier. Manch einer meint in ihr eine Joni Mitchell zu entdecken, andere wollen sie bereits auf eine Stufe mit Tori Amos stellen. Doch lassen wir die stets hinkenden Vergleiche, sondern genießen die sich in der New Yorker Musikszene bereits etablierte traumhafte Stimme, die abwechselnd mit Gitarre, Ukulele und Charango überzeugt und durchaus auch mit ihrem so unbewussten und daher so ehrlichen und unprätentiösen Charme. Becca Stevens ist zusammen mit dem Musiker-Kollektiv Snarky Puppy am 21. November 2019 zu hören.
Und – last but not least – kommen auch noch all diejenigen auf ihre Kosten, die sich nur allzu gerne von der unbändigen Kraft afrikanischer Gospel Chöre anstecken lassen: The London African Choir verbreitet am 01. Dezember 2019 Feuerwerk und Gänsehaut gleichermaßen. Ach, was geht uns da das Herz auf! So bunt, so bewegend, mit so vielen Emotionen, fast bis hin zum Rausch, mit jedem Ton so geschichtsträchtig wie spirituell, so voller Sehnsucht, so stark die Stimmen der Solisten, so magisch die des Chors – „Oh happy day!“
Uns nun derart durchs Programm gewühlt, bewusst auf die Empfehlung weitere Größen wie Ludovico Einaudi (20.11.2019), Michel Jonsasz (16.11.19) oder Le Trio Joubran (23.11.2019) verzichtet zu haben, hoffen wir alle ebenso Musikbegeisterten in Monte-Carlo zu treffen. Sind Sie mit dabei? #letsmeetthere …
Autor: Undine Zumpe / Cinnamon Circle
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